Kleiner Mann im Ohr

Denke ich oder werde ich gedacht?



Ich sitze in einem Flugzeug und versuche festzuhalten oder aufzuschreiben, was ich denke. Dabei geht es mir eigentlich nicht um den Inhalt meiner Gedanken, sondern um die Tatsache, dass ich denke und was ich sonst noch so mache. Momentan wiederhole ich im wesentlichen, was ich gerade geschrieben habe. Dabei lausche ich der Stimme in meinem Kopf, die mir das vorliest, was ich gerade lese. Hier schleicht sich ein Gedanke ein, nämlich der, wie es sein kann, dass ich mir selbst etwas vorlesen kann.

Aber es ist doch so. Aber es ist doch so. Aber es ist doch so. Diesen Satz kann ich so oft, wie ich will, wiederholen. Ich kann ihn niederschreiben. Dabei höre ich diese Stimme in meinem Kopf, wobei hören vielleicht nicht, eher sprechen ohne Ton. Und ich kann diesen Satz lesen und ich kann ihn denken, ohne zu schreiben oder zu lesen. Genauso wie ich jeden anderen Satz denken kann, zumindest mir vorsprechen, ohne vorauszusetzen, dass ich ihn auch verstehe. Kann man etwas denken, was man selbst nicht versteht? Vermutlich. Aber darauf kommt es jetzt gar nicht an.Etwas anderes kommt mir dabei in den Sinn. Gibt es möglicherweise drei Wesen in meinem Kopf? Das eine, das denkt und das andere, das vorliest und dann noch das nächste, dass zuhört? Wie verrückt ist das denn eigentlich?

Nochmal zurück. Fest steht, alles, was ich denke oder auch lese, spreche ich quasi leise vor mich hin. Unhörbar, aber die Zunge bewegt sich ähnlich, wie beim richtigen Sprechen. Ich denke, also rede ich. Jetzt mag es noch Gedanken oder Fragmente davon geben, die sich blitzartig als Erinnerung oder auch als Assoziation ohne stilles Ausformulieren bemerkbar machen. Aber das passiert relativ selten und ist im Moment nicht so wesentlich.

Wichtig wäre festzuhalten, dass es im Kopf eine Art Redner gibt, der das Gedachte hörbar macht, ohne den kein Gedanke gedacht werden kann. Wir können diesem Redner zuhören, wobei wir uns dieser Tatsache, dass wir unseren eigenen Gedanken lauschen können, selten bewusst sind. Ich würde sogar behaupten, dass wir uns äusserst selten zuhören, sondern eher meinen, dass das Gedachte und der Denkende dasselbe ist. Ja, dass unser Ich-Bewusstsein voraussetzt, dass das Gedachte wir selber sind und nicht möglicherweise zwischen dem Ich und dem Gedanken ein Unterschied bestünde. Wer sollte denn in unserem Kopf etwas denken, wenn wir es nicht selber wären?

Aber wir können tatsächlich uns selbst zuhören, wenn wir denken oder etwas vorlesen. Jedes Wort wird gesprochen, wenn auch beim Lesen nicht alles ausformuliert wird, sondern je nach Text auch vieles überflogen und nur bruchstückweise wahrgenommen wird.

Wofür wäre das wichtig, zu wissen, ob es einen, zwei oder gar drei in unserem Kopf gibt, die sich dort unterhalten? Abgesehen davon, dass wir uns dann alle möglicherweise zu Schizophrenen erklären müssten, wäre es ja doch wichtig zu wissen, wem wir da eigentlich zuhören, d.h. wer denkt denn da und vor allem, was wird gedacht.

Können wir davon ausgehen, dass alles, was wir denken, nur zu unserem Besten gedacht wird? Ist jeder Gedanke es wert, auf die Goldwaage gelegt zu werden oder wird auch viel Unsinn gedacht, Oberflächliches, Wertloses, vielleicht auch Schädliches, Irreführendes, triebhaft Bedingtes, Dummes, was man auch als Geschwätz abtun könnte? Und wenn das so wäre, geht es uns etwas an oder sollte es uns egal sein, was gedacht wird?

Wie kann das sein, werden sich jetzt die meisten fragen. Meine Gedanken werden doch von mir gedacht, also kann ich sie doch auch nicht in Frage stellen oder gar einen Schuldigen dafür finden. Abgesehen davon, dass ich manchen Gedanken als wertvoll, wichtig oder gar als Retter in der Not empfinde.

Gedanken zu beeinflussen, ist nicht neu. Zum Thema positives Denken sind ganze Bibliotheken gefüllt worden, mit Gehirnwäsche wurde und wird wohl so manches Volk in seiner Wahrnehmung zum Wohle der Herrschenden manipuliert.

Um uns letztlich eine eigene Meinung darüber zu bilden, wer eigentlich hinter unseren Gedanken steht und wieweit dies zu unserem Besten geschieht, sollten wir ein kleines Experiment veranstalten.Am besten suchen wir einen ruhigen Raum auf, es kann aber auch der Ort sein, an dem wir uns gerade befinden und lenken unsere Aufmerksamkeit auf das, was wir gerade denken. In der Regel denken wir in dem Moment, wo wir dies tun, an nichts bzw. denken bewusst daran, dass wir an unser Denken denken sollen. Dieser Augenblick des Bewusstseins geht in der Regel jedoch schnell vorbei. Ohne, dass wir es wollen, kommt ein neuer Gedanke auf. Zum Beispiel hört man ein vorbeifahrendes Auto und schon denken wir, dass das eigene Auto im Halteverbot steht, heute Abend Besuch kommt und noch schnell eingekauft werden muss. Dann denken wir an den Ehemann, der eigentlich auch mal kochen könnte, wo aber ausser Spiegeleiern nichts bei herauskommen würde. Bei seinem letzten Versuch hatte er die Pizza im Ofen vergessen, Frau Meier von nebenan sich über den Geruch beschwerte und ganz wichtig, die Wäsche hängt noch auf der Leine im Garten hängt, wo doch der Wetterbericht Regen angesagt hat und die Tochter am Wochenende eine Party veranstaltet, usw, usw.Dieser Gedankenschwall wird allenfalls unterbrochen, wenn man noch einmal zum bewussten Denken aufgefordert wird. Aber es wird nicht lange dauern und ein ähnlicher Gedankenfluss ergiesst sich unkontrolliert und zwanghaft über das persönliche Bewusstsein, bis vielleicht die Umstände des Autofahrens der Aufmerksamkeit für eine Weile eine bestimmte Richtung aufdrängen.

Dem Denker zuhören und damit die Möglichkeit, das Denken zu beeinflussen, kommt so gut wie nicht vor. Wir sind eher ohnmächtig in der Hand dessen, der sich unseres Bewusstseins bemächtigt hat und sein Spiel nach eigenen Regeln spielen kann.

Von wem sprechen wir hier?

Es ist der Verstand, der uns glauben macht, dass wir mit ihm identisch seien. Von Hölzchen auf Stöckchen führt er uns an der Nase herum. Ständig, von morgens bis abends, sind wir in Gedanken. Die Umwelt wird kaum mehr als notwendig wahrgenommen, selbst der eigene Körper kommt mit seinen Bedürfnissen eher zu kurz. Sicher, es gibt schon manche Aufgabe, für die der Verstand gebraucht wird. Aber das ist doch selten am Tag der Fall. Und wenn wir selbst nicht denken, dann machen wir den Fernseher an und hören Nachrichten, am liebsten angsterzeugende oder sehen Tatort, wo auch wieder der Gedanke, was passiert dort, Vorrang hat.

Don Juan, der mexikanische Lehrer von Carlos Castaneda, sprach von der Rille der Zeit, in die wir uns gezwungen sehen, hinein zu starren. Bei Platon ist es die Felswand, auf die wir schauen, weil wir glauben, dass die dortigen Schattenbilder das Leben widerspiegeln. Die wahre Befreiung erfahren wir, wenn wir uns aus dieser Gefangenenschaft lösen und selbst bestimmen, wann wir was denken wollen. Dann werden wir merken, dass die Welt viel mehr Facetten enthält, als wir uns vorstellen. In seinem Buch "Jetzt" spricht Eckart Tolle von der Kraft der Gegenwart, die wir erfahren, wenn endlich Ruhe in unserem Kopf eingekehrt ist oder innerer Frieden. Dieser Frieden braucht aber auch äusseren Frieden. Wer ständig auf der Tour ist, von morgens bis abends beschäftigt und gefordert, der hat es schwer, aus diesem Kokon der eingeschränkten Wahrnehmung zu entfliehen. Hier hilft nur der konsequente Wille, sich zurückzunehmen, seine Gedanken zu beobachten und den Moment von "No mind" zu erreichen, an dem sich die "Blase der Wahrnehmung" zu einer ganzheitlichen Erfahrung des Selbst erweitert.